Der natürliche Zyklus, in der der Mensch seine Umgebung formt und seinerseits von seiner Umgebung geformt wird, hinterlässt Spuren fortlaufend in der Ausstellung Minds & Matter. In dieser Art von Wechselwirkung kann der Geist nicht über die Materie herrschen. Sie arbeiten gleichberechtigt in einer ständigen Symbiose zusammen. Wenn der Raum nicht als passive Kulisse, sondern als aktive Entität betrachtet wird, ist es möglich die tiefe Verbundenheit zur Umgebung wiederzuentdecken. Die Abkehr von der Vorstellung einer Hierarchie zwischen Menschen und Land ermöglicht es uns, den aktiven Einfluss des Raums auf den Menschen anzuerkennen. Und schließlich verstehen wir, dass die Umgebung, in der wir uns bewegen, nicht neutral ist, sondern mit Geschichten und Emotionen durchwoben wurde, die möglicherweise in Vergessenheit geraten, aber nichtsdestotrotz die Erfahrung in diesem Raum prägen.
Mit dieser Ausstellung zeigt Kang Contemporary die Beziehungen zwischen mentalen und physischen Räumen auf. Durch die Konzentration auf Überschneidungen und Übergänge wird die Isolierung zwischen Kunst, Raum und Menschen verkompliziert und die Klarheit der Interpretation erschwert. Gleichzeitig eröffnet es die Möglichkeit, eine Fülle von Verbindungen und Korrelationen zu entdecken, die das alltägliche Leben tangieren.
Weder Kunst noch KünstlerInnen existieren und schaffen in einem Vakuum. Die Außenwelt ist ein organischer Bestandteil des künstlerischen Schaffens. In dieser Ausstellung werden KünstlerInnen zusammengebracht, um zu zeigen, auf welch unterschiedliche Weise physische und äußere Inhalte den Geist beeinflussen. Von kuriosen Beobachtungen der Veränderungen in einer Landschaft bis hin zur Erforschung der gefährlichen Faszination, zu besitzen, was sich der menschlichen Kontrolle entzieht. Wie jede langfristige Beziehung ist auch die Verbindung zwischen dem Menschen und der ihn umgebenden Welt ein komplexes Geflecht aus unendlichen Erfahrungen und Empfindungen. Daher ist diese Ausstellung nur ein kleiner Einblick in eine der einflussreichsten und unscheinbarsten Verwandtschaften des menschlichen Lebens.
In ihrer Arbeit konzentriert sich Chan Sook Choi auf die Spuren, die Menschen in den von ihnen bewohnten Gebieten hinterlassen – von privaten Grundstücken bis hin zu Territorien, die von mehreren Staaten geteilt werden oder multinationalen Unternehmen gehören. Die Erinnerung und die Konstruktion von Identität, Zeit und Raum sind wesentliche Fragen, die auf subtile und prägnante Weise zu künstlerischen Formen werden. Die Performance “qbit to Adam”, die sie für ihre Ausstellung im MMCA in Seoul kreierte, erforscht die Überbleibsel einer Mumie, die in einer Kupfermine in Chile entdeckt wurde. Der “Kupfer Mann” war Gegenstand verschiedener Debatten über seinen Besitz. Teil der Performance sind NFTs, die Fragmente des Kupfer Mannes zeigen. In die NFTs sind umgewandelte Erinnerungen an das Land eingeschrieben, die dem Besitzer der Erinnerungen überreicht werden sollen.
Die Wandteppiche von Annette Cords sind geheimnisvoll und doch beruhigend. Das weiche Medium, das auf eine präindustrielle und prädigitale Ära verweist, kollidiert mit dem Motiv der Stadtlichter und Reklametafeln. Die traditionelle und sanfte Handarbeit trifft auf die harte Bildsprache der Wolkenkratzer, des Betons, der Leuchtreklamen und Graffitis, die das heutige urbane Leben illustrieren. Das Werk lässt jedoch vermuten, dass diese Bildsprache unweigerlich und auf natürliche Weise zu einer neuen künstlerischen Tradition werden wird. Sie enthüllt fantastische Muster und schafft Kompositionen aus genau den Dingen, die wir für alltäglich halten. Darüber hinaus unterstreicht Cords, dass diese Zeichen und Symbole des modernen Lebens in ständigem Dialog mit den Menschen stehen, die sie umgeben. So simpel die zeitgenössischen Designs auch sein mögen, die überlagerten und vielschichtigen Botschaften und Bilder sind schwer zu durchschauen. Sie können auf unterschiedlichste Weise verstanden oder missverstanden werden.
Das Thema des Wandels ist ein wichtiger Aspekt in Wolfram Wickerts Werk. Seine “historischen und kulturellen Karten” sind vom visuellen Vokabular handgezeichneter chinesischer Landkarten inspiriert und zeigen europäische und asiatische Landschaften aus mehreren Jahrhunderten. Seine Werke verweisen auf die Spuren, die die Menschen in dem sich ständig verändernden Land hinterlassen haben. Historische Zeitstrahle verlaufen parallel und schaffen neue Landschaften, in denen längst verschwundene Schlösser oder Eisenbahnstrecken aus dem 18. Jahrhundert neben Atomkraftwerken existieren. Wickerts Karten erzählen eine Vielzahl von Geschichten, von denen einige noch heute präsent sind, während andere spurlos verschwunden sind. All diesen wird nahtlos ein Denkmal gesetzt. Seine Kunstwerke veranschaulichen die vielfältigen Eingriffe des Menschen in den Raum und zeigen, dass das Land trotz des verblassenden kollektiven Gedächtnisses nie frei oder neutral von den Prägungen der Geschichte ist.
Jazoo Yang hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Außergewöhnliche im Alltäglichen zu entdecken. Sie erkundet Baugebiete, Parks und verlassene Gebäude auf der Suche nach Materialien für ihre Werke. Die Künstlerin verewigt diese dann in Harz Güssen. Ihre Kunstwerke sind Erinnerungen an Gebäude und manchmal ganze Stadtteile, die nicht mehr existieren, aber einst lebendige Zentren des sozialen Lebens waren. Sie veranschaulichen den ständigen radikalen und manchmal brutalen Wandel, den das Leben in der Stadt mit sich bringt. Sie fügt diese Trümmer, die normalerweise als Quelle der Irritation und des Chaos angesehen werden, zu abstrakten Kompositionen aus Farben und Formen zusammen. In einem postindustriellen Zeitalter, das entstehende Stadtlandschaften gentrifiziert, bevor sie nach Luft schnappen können, wendet sie sich einem geeigneteren Medium zu als Malerei auf Leinwand.
“Der Raum, isoliert betrachtet, ist eine leere Abstraktion”
– Henri Lefebvre
Minds & Matter – Remembering Fragments of Space
Noch bis zum 09.07.2022