„Verwobener Raum“, so der Titel der Ausstellung von aktuellen Arbeiten der Berliner Fotografen Sabine Wild und Stefanos Pavlakis. Beide zeigen analoge, manipulierte Farbfotografie, denn sie haben eigenes Fotomaterial einer Nachbearbeitung per Hand unterzogen: Sabine Wild verwendet Fotos von Wohnblocks in chinesischen Megacities; diese druckte sie zweifach aus, schnitt sie präzise in Streifen und montierte sie dann in einem Verfahren, das an das Weben erinnert. Es entstehen verschachtelte, sich seriell wiederholende und bildfüllende Architekturansichten mit zahllosen Details. Entstanden sind Bilder von Wohnbatterien für Menschen, die gegenüber den tatsächlich existierenden Hochhausblocks in Hongkong oder Chongqing durch die künstlerische Intervention einen phantastisch irrealen Charakter annehmen. Somit werden die real existierenden und für Bevölkerungsmassen bestimmten Plattenbauten durch das von Sabine Wild eingesetzte Verfahren präziser Montage bildnerisch in eine geradezu absurd gigantische Dimension überführt und damit zu einer Science Fiction der ambivalenten Art erklärt: Demnach erscheinen die Stadtveduten wie aus der Zeit gefallen, absolut und dabei total unmenschlich. Mit diesen Arbeiten entsteht eine Form der Kritik, die sich aber nicht als rechthaberisch und allwissend gebärdet, sondern die Betrachter*innen konfrontierend einbezieht, selber Stellung zu nehmen.
Stefanos Pavlakis zeigt Bildmontagen, die in einem gänzlich anderen Verfahren entstanden sind. Seine Fotos, Details daraus und Ausschnitte zeigten ursprünglich alles mögliche … den Blick in einen Garten, demolierte Jalousien, das Innere eines Zugs oder Reflexionen moderner Architektur in Spiegeln – Stefanos Pavlakis hat seine Fotoabzüge in Fetzen zerrissen, um sie neu zu kombinieren. Dabei spielt das Zusammenfügen, also die Bildmontage im Gedanken an Formen, Farben und Material zur Herstellung einer schlüssigen Komposition die zentrale Rolle: sind doch dabei Aspekte des formal Abstrakten mit solchen emotionaler Sinnlichkeit zu verbinden, so dass eine spannungsvolle, zugleich reale wie auch poetische Bildwelt sich verwirklichen kann. In den Collagen entsteht Räumlichkeit nicht länger im Sinne von vorne und hinten. Der Riss durch das Sujet zeigt nicht nur das weiße Papier auf dem gedruckt wurde, sondern an neuer Stelle im Bild die Gleichzeitigkeit völlig entfernter Ereignisse. In diesen Montagen gibt es Momente der Schönheit wie auch zugleich brutal Unvermitteltes. Stefanos Pavlakis Kompositionen sind chaotisch, und doch sind es ruhige Darstellungen. Als Kunstwerke sind sie Kontradiktionen zu den Bilderfluten der Medien, die keinen ruhigen Moment kennen und so gut wie nichts auf Dauer festhalten.
Peter Funken, April 2022
Gefördert durch die Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst im Rahmen des Bundesprogramms NEUSTART KULTUR
der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.