Seit über 30 Jahren galt das Gemälde „Landschaft mit Bogenbrücke“ als Arbeit des Rembrandt-Schülers Govert Flinck. Nach neuesten Untersuchungen stammt das Werk jedoch vom Meister selbst und vervollständigt ab sofort die weltweit bedeutenden Rembrandt-Bestände der Berliner Gemäldegalerie. Aktuell wird das Bild ab 8. April 2022 in der Sonderausstellung „David Hockney – Landschaften im Dialog. Die “Vier Jahreszeiten” der Sammlung Würth zu Gast in Berlin“ in der Gemäldegalerie zu sehen sein.
Als die „Landschaft mit Bogenbrücke“ (Kat. Nr. 1932) 1924 in die Sammlung der Gemäldegalerie gelangte, galt sie noch als eigenhändige Arbeit Rembrandts. Für Wilhelm von Bode, den damaligen Generaldirektor der Königlichen Museen und international anerkannten Rembrandt-Spezialisten, ging damit ein über mehrere Jahrzehnte gehegter Wunsch in Erfüllung. Mit der bis dahin fehlenden Landschaft konnte er für Berlin eine wichtige Lücke schließen und die herausragenden Berliner Rembrandt-Bestände vervollständigen.
Das Gemälde stammt aus der Sammlung des Großherzogs Friedrich August von Oldenburg (1852–1931), dessen Gemäldebestände 1918 nach seiner erzwungenen Abdankung zerschlagen wurden. Vermutlich im September 1919 ließ der ehemalige Großherzog rund 115 seiner besten Werke weitgehend unbemerkt in die Niederlande transportieren, wo sie in das Amsterdamer Auktionshaus Frederik Muller & Cie gelangten. Von dort aus wurde eine Auswahl von 40 Spitzenwerken zum Verkauf in die USA geschickt, darunter auch die Rembrandt zugeschriebene „Landschaft mit Bogenbrücke“. Laut Bode verkaufte sich das Werk wegen des hohen Preises und des mit 28,5 x 39,5 cm kleinen Bildformats jedoch nicht. 1923 ging es in den Besitz der Kunsthändler Paul Cassirer und Julius Böhler über. Ein Jahr später wurde die Landschaft schließlich im Tausch gegen drei Werke aus der Sammlung für das Kaiser Friedrich Museum erworben – eine für die Gemäldegalerie überaus glückliche Transaktion, da man nicht mehr über genügend Mittel verfügte, um einen derart hochkarätigen Ankauf tätigen zu können.
Bis in die 1980er-Jahre galt die „Landschaft mit Bogenbrücke“ als authentisches Werk von Rembrandt Harmensz. van Rijn. 1989 wurde es jedoch nach der Untersuchung des Rembrandt Research Projects abgeschrieben und dem Rembrandt-Schüler Govert Flinck zugeordnet. Ausschlaggebend für die Abschreibung war vor allem der Vergleich mit dem Gemälde „Landschaft mit Steinbrücke“ im Amsterdamer Rijksmuseum. Das Rembrandt Research Project verwies auf die erstaunlich weitreichenden maltechnischen und motivischen Übereinstimmungen des Berliner Bildes mit anderen Landschaftsdarstellungen Rembrandts, insbesondere dem Amsterdamer Werk. Gerade diese Beobachtung diente aber in der Folge als ausschlaggebendes Argument, um das Berliner Bild einem Nachfolger oder Imitator des Meisters zuzuschreiben.
Die aktuellen Untersuchungen des Berliner Bildes und die Auswertung technischer Aufnahmen, die 1989 noch nicht zur Verfügung standen, haben nun jedoch die Eigenhändigkeit des Werkes bestätigt. So lassen sich Änderungen und Korrekturen in der Malerei feststellen, die während des Malprozesses vorgenommen wurden. Auf diese Weise wird die Entwicklung der Komposition mit ihrer meisterhaften Lichtführung und den stimmungsvollen Helldunkelkontrasten nachvollziehbar. Demgegenüber zeichnet sich das Amsterdamer Bild kaum durch verändernde Eingriffe des Künstlers aus. Dementsprechend dürfte das Werk der Gemäldegalerie nicht als Nachfolger, sondern als Vorläufer der Amsterdamer Landschaft anzusehen sein. Diese Schlussfolgerung wird zudem durch die dendrochronologischen Befunde gestützt, die auf eine spätere Entstehungszeit des Amsterdamer Bildes hindeuten. Die starken Überarbeitungen, die Rembrandt bei dem Berliner Werk vornahm, erklären auch die auffälligen Unterschiede in der Malweise beider Bilder. In der Berliner Fassung ist sie vergleichsweise dicht und kompakt, in der folgenden Amsterdamer Fassung durchscheinend und zugleich präzise.
Obgleich Rembrandt nur wenige Landschaftsbilder malte, waren sie stilistisch und kompositorisch für spätere Künstlergenerationen wegweisend. Vor allem durch seine meisterhaft inszenierte und dramatisch zugespitzte Lichtführung erzeugte er für die Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts außergewöhnlich atmosphärische Stimmungen. Derzeit sind aus Rembrandts malerischem Oeuvre nur sieben Landschaftsbilder bekannt. Mit der Neuzuschreibung des Berliner Bildes erhöht sich diese Zahl nun auf acht Werke.
Die Gemäldegalerie besitzt eine der weltweit bedeutendsten und umfangreichsten Sammlungen von Werken Rembrandt Harmensz. van Rijns. Mit der „Landschaft mit Bogenbrücke“ umfasst dieser bedeutende Werkkomplex fortan 20 Werke. Wie bereits bei der Erwerbung des Gemäldes vor rund 100 Jahren kann damit eine wichtige Lücke geschlossen und können die Bestände glücklich vervollständigt werden.
Das Bild ist aktuell ab dem 8. April 2022 in der Sonderausstellung „David Hockney – Landschaften im Dialog. Die “Vier Jahreszeiten” der Sammlung Würth zu Gast in Berlin“ zu sehen. Darin geht Hockneys großformatiger Jahreszeitenzyklus „Three Trees near Thixendale“ der Sammlung Würth einen eindrücklichen Dialog mit Landschaftsdarstellungen aus den Sammlungen der Gemäldegalerie, der Nationalgalerie und des Kupferstichkabinetts ein. So werden Hockneys Auseinandersetzung mit der Kunst vorangegangener Jahrhunderte sowie Parallelen zu großen Vorbildern wie Rembrandt, Vincent van Gogh und John Constable nachvollziehbar.
Sehen können Sie den neuen Rembrandt ab Samstag, 09. April in der Ausstellung “David Hockney – Landschaften im Dialog”.
Rembrandt-Wiederentdeckung: “David Hockney – Landschaften im Dialog”
9. April 2022 – 10. Juli 2022
Beitragsbild: Rembrandt Harmensz. van Rijn, Landschaft mit Bogenbrücke, um 1638, Holz, © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Christoph Schmidt