Das Berliner Aktionsbündnis fair share! – Sichtbarkeit für Künstlerinnen lädt am Weltfrauentag 2022 zu einer symbolischen Aktion an der Neuen Nationalgalerie ein. 110 Künstlerinnen und Kulturschaffende werden das Museum in einer Performance umschreiten und Künstlerinnen der Klassischen Moderne repräsentieren.
Einen passenderen Zeitpunkt für diese Aktion hätte es kaum geben können: In zwei Studien der FernUniversität in Hagen kam Dr. Hendrik Sonnabend zu dem Schluss, dass
„vor allem in der bildenden Kunst Frauen immer noch deutlich weniger verdienen als Männer. Frauen engagieren sich mehr in Gruppenausstellungen und haben größere Netzwerke als Männer. Männer stellen etwas häufiger alleine aus, teilen dagegen häufiger ihr Atelier als Frauen“, so Sonnabend. Und weiter: „Männer verkaufen mit ihren Bildern, Skulpturen oder Illustrationen einfach mehr als ihre Kolleginnen.“
Mit „der Lebenssituation, der Qualifikation oder dem künstlerischen Status“ ließen sich „nur maximal 40 Prozent der Einkommenslücke erklären. Der Rest des Einkommensdefizits sei zumindest in der vorliegenden Stichprobe allein auf das Geschlecht zurückzuführen. Für den Forscher ist das ein erster Hinweis auf geschlechtsspezifische Diskriminierung in der bildenden Kunst.
Ergänzend dazu schreibt fair share!:
“Auch wenn im Kunstbetrieb an vielen Stellen das Problem der fehlenden Geschlechtergerechtigkeit inzwischen wahrgenommen wird, lassen nachhaltige Veränderungen auf sich warten.”
Knapp 60 Prozent der Absolvent*innen von Kunsthochschulen sind heute weiblich. Einzelausstellungen von zeitgenössischen Künstlerinnen in den Programmen fast aller großen Institutionen des Landes Berlin machen jedoch nicht einmal ein Drittel aus. Vergleichbar ist es um die Präsenz zeitgenössischer Künstlerinnen in Sammlungen des Bundes bestellt.” Aber auch über die Grenzen Deutschlands hinaus sieht es nicht besser aus.
So liegt der Anteil von Werken von Frauen aller Epochen in europäischen und nordamerikanischen Museumssammlungen derzeit bei etwa 5%, wie das National Museum of Women in the Arts, Washington DC, untersucht hat. Dass Frauen aber zu jeder Zeit als Künstlerinnen aktiv waren und ein eigenständiges Oeuvre geschaffen haben, zeigen internationale Initiativen wie die gemeinnützige Organisation Archives of Women Artists, Reserach and Exhibitions (AWARE), sowie viel beachtete Retrospektiven insbesondere in den Metropolen London, New York, Paris und Amsterdam. Sammlungsneupräsentationen, die klassische Hierarchien und Spartendenken, den eurozentrierten traditionellen Kanon und männliche Dominanz zugunsten von Parität und Diversität aufhoben, ernten weltweit positiveResonanz.
Ein Umdenken und Handeln ist hier von hoher Dringlichkeit, wenn beispielsweise der 300. Geburtstags der in ihrer Zeit überaus erfolgreichen Malerin Anna Dorothea Therbusch 2021 in einer „fokussierten Jubiläumsschau“ der Berliner Gemäldegalerie mit nur 12 Werken aus dem eigenen Museumsbestand begangen wird – obwohl ein Verzeichnis von über 250 Werken vorliegt und viele der Bilder in deutschen Museen lagern. Auch im zeitgenössischen Bereich sollte es Ausstellungen wie NOTHING TO SEE NESS in der Akademie der Künste Berlin Ende letzten Jahres mit lediglich16 Künstlerinnen gegenüber 59 Künstlern nicht mehr geben.
Um daran zu rütteln, lädt das Aktionsbündnis zu einer wirklich spannenden Performance ein:
In jedem Fenster der Neuen Nationalgalerie wird eine Frau stehen, insgesamt werden 110 Künstlerinnen und Kulturschaffende die Neue Nationalgalerie in einer 40 minütigen Performance umschreiten. Auf ihren T-Shirts tragen sie den Namen einer Künstlerin der Klassischen Moderne, die im Schaubestand des Hauses vertreten sein könnte, wenn ihre Werke gesammelt worden wären. Jede Teilnehmerin wird am Tag der Performance zur Expertin „ihrer“ Künstlerin. So können sich die Besucher*innen im Anschluss an die Performance an die Teilnehmerinnen wenden und sie zu Leben und Werk befragen. Auf diese Weise entsteht ein Informationspool, der viele noch unentdeckte ,lange vergessene und stark unterrepräsentierte Künstlerinnen sichtbar macht.
Die oben erwähnte Studie findest Du unter https://epub.wu.ac.at/id/eprint/7910
Beitragsbild: Weltfrauentag 2021. Foto © Simone Schmidt