Wer mit seiner Kunst auf eine Entwicklung oder einen Missstand aufmerksam macht, läuft Gefahr, das, was eigentlich beklagt werden soll, zu verstärken. Wir kennen das Phänomen aus medialen Zusammenhängen, zum Beispiel wenn die Frage auftaucht, ob man mit einem Artikel über eine Person oder eine Gruppe, die verfassungsfeindlich agiert, ihnen nicht noch zusätzlich Raum gibt. Manchmal ist es aber auch so, dass gerade dadurch Debatten angestoßen werden – so wie derzeit bei der Ausstellung der Künstlergruppe Frankfurter Hauptschule. Obwohl die nicht in Berlin ist, bin ich der Meinung, dass dieses Thema allgemeingültig ist – insofern gut zu Kunstleben Berlin und dieser Kolumne passt.
“Wir leben in grellen Zeiten. Während der internationale Rechtsruck im Windschatten der Pandemie weiter Fahrt aufnimmt und Neonazis gemeinsam mit Verschwörungs-Hippies den Reichstag stürmen, bekriegen sich verschiedene Flügel der Zivilgesellschaft in Diskussionen um Cancel Culture. Doch wenn sich der Siegeszug von Esoterikern, Nazis und Eso-Nazis weiter fortsetzt, werden diese Diskussionen bald ohnehin obsolet, weil dann die Meinungsfreiheit zusammen mit den Restbeständen der Demokratie weggecancelt wird.” (Quelle: NAK)
kANzELKuLTuR heißt die Ausstellung, die derzeit in Aachen, im Neuen Aachener Kunstverein zu sehen ist und sich mit eben diesem Thema auseinandersetzt. Sie ist provokant, wie vieles, das man von der Frankfurter Hauptschule schon sehen konnte. Dieses Mal zeigen sie Symbole des Faschismus, die sich peu à peu zurück in unseren Alltag geschlichen haben. Aber es sind eben nicht nur Symbole, und genau darum geht es dem Künstlerkollektiv. Sie behaupten, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre wird wieder Faschismus herrschen wird.” Gleichzeitig versprechen sie, dass jeder, der dagegenhält und ein Zeichen seines Optimismus ein Kunstwerk erwirbt, sein Geld zurückbekommt, wenn die Künstler*innen sich irren. Eine Provokation?
Natürlich. Aber weit hergeholt? Leider nein. Wer die Augen weit genug öffnet, sieht wie die Neue Rechte Räume erobern, liberale Begriffe kapern, Netzwerke knüpfen. Auf Corona-Demonstrationen laufen sie mit, führen sie teilweise sogar an. Sie stoßen immer weiter in die bürgerliche Mitte vor. Dort, wo die AfD die Türen aufgetreten hat, treten sie jetzt ein. Behilflich dabei ist ihnen eine gewisse Unbedarftheit, die sich auch gerade in der Esoterikszene, aber eben auch in der Kunstszene eingenistet hat. In einem Interview mit der jungewelt kommentieren die Künstler*innen der Frankfurter Hauptschule wie folgt:
“Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit einem neuen Trend unter jungen Künstlerinnen und Künstlern, die in mystischen Bilderwelten waten. Uns verwundert die Gleichzeitigkeit dieser Phänomene (Anmerkung: Corona-Demo-Schulerschluss). Denn ob in Ausstellungen von Nachwuchskünstlern in manchen kleinen Galerien oder auf Instagram: Motive deutscher Romantik und nordischer Mythologie – wie mittelalterliche Schnörkel, Drachen, Ritter oder Schwerter – häufen sich, ebenso Materialien wie Äste, Tuch, Wachs, Heilsteine, Rauch oder Erde.”
Zu den Ausstellungsobjekten gehörte unter anderem ein überdimensionaler Traumfänger aus Styropor, in dessen Ring sich statt des klassischen Fadengeflechts eine “Schwarze Sonne” befindet. Sie ist ein unter Rechtsextremen verbreitetes Symbol, anders als das Hakenkreuz in Deutschland aber nicht verboten. Trotzdem wurde der Traumfänger letzte Woche von der Stadt Aachen aus dem Kongressdenkmal im Aachener Stadtpark entfernt, weil es mehrere Beschwerden gab, bei denen Menschen einen Zusammenhang zu den Querdenker-Demos vermuteten. Funktioniert die Mauer gegen solche Symbolik also doch? Könnte man so sehen. Und es wäre insgesamt ein wichtiges und gutes Zeichen dafür, dass auch im öffentlichen Raum noch ein Bewusstsein dafür existiert, dass wir eine Verantwortung gegenüber unserer Geschichte tragen. Und möglicherweise führt ja gerade das Canceln dieses Symbols durch die Stadt nun zu einer größeren Debatte und zu mehr Aufmerksamkeit, als es das Kunstwerk selbst getan hätte.
Die Ausstellung „kANzELKuLTuR“ der Frankfurter Hauptschule läuft noch bis zum 12. März. Am Samstag, den 12. Februar, lädt die Gruppe von 14 bis 20 Uhr zur Midissage.
Neuer Aachener Kunstverein, Passstraße 29, 52070 Aachen