Die Saarländische Galerie in Berlin präsentiert zum fünften Mal junge Kunst von den Finalist*innen eines Preises, der seit 2012 von der Peter und Luise Hager-Stiftung gemeinsam mit der Hochschule der Bildenden Künste Saar ausgelobt wird. Wissen – ein abstrakter Begriff mit großem Bedeutungsspektrum und eine Herausforderung für die Teilnehmer*innen des Wettbewerbs. Wie verkörpert sich ein abstrakter Begriff in der Praxis einer konkreten Arbeit?
Im Unterschied zu Glauben, dem Thema des vergangenen Jahres, gilt Wissen als Inbegriff von meist rational begründeter Erkenntnis. Schon die Herkunft des Begriffs aus dem althochdeutschen Wort „Wischan“, was so viel wie „gesehen haben“ bedeutet, weist auf den engen Zusammenhang von Sehen und Wissen hin und darauf, wie relativ und subjektiv diese Erkenntnisform ist. Wie können wir wissen, was wir sehen? Ist Wissen das, was ausgesprochen/geschrieben ist? Ist Wissen das, was im Internet steht?
Die Studierenden haben die Herausforderung des „großen“ Themas angenommen und präsentieren nachdenkliche, auch überraschende Arbeiten, deren Spektrum von der Auseinandersetzung mit Platons Höhlengleichnis über eine Erfindung Leonardo da Vincis bis hin zu einem Eintrag bei Wikipedia reicht.
In Polina Trishkinas Arbeit „Das Salz der Erde“ (1. Preis) ist in einem zweijährigen Verdunstungs-Prozess aus einem in eine Steinsalzlösung getauchten Buch eine Skulptur geworden. In dem von Salzkristallen überzogenen Buchobjekt trifft das Konservierungsmittel Salz auf das kulturelle Konservierungsmittel Buch, in dem Jahrhunderte altes Wissen gespeichert ist:
„Wer weiß? Vielleicht kommt irgendwann das Meer wieder in unsere Städte, nimmt Museen, Bibliotheken, alle unsere Artefakte und konserviert alles in einem gigantischen Salzdom.“
(P. Trishkina)
Seokjin Hongs Installation “Drin” (2. Preis) verbindet die Projektionstechnik eines Overheadprojektors mit einem darüber gehängten Glaskugel-Spiel. Was sieht man in der Projektion an der Wand: Einzeller unter dem Mikroskop? Fischeier im Wasser? Gedankenblasen im Gehirn? Die Arbeit greift Fragen auf, die in dem bekanntesten „Bild“ einer Projektion aus der Philosophiegeschichte zum ersten Mal gestellt wurde, dem Höhlengleichnis: Was können wir überhaupt wissen und was sind die Grenzen und Beschränkungen unserer eigenen Erkenntnismöglichkeiten?
Wie findet theoretisches Wissen seinen Weg in die praktische Anwendung? Für seine Arbeit „Treiben“ hat sich Marius Buck (3. Preis) von Konstruktionszeichnungen von Leonardo da Vinci anregen lassen. Entstanden ist eine digital gesteuerte elektromechanische, Klang produzierende „Maschine“. Eine schneckenförmige Scheibe hebt eine Stange mit verdicktem Kopf an und lässt sie auf eine gepolsterte Scheibe fallen: aus Mechanik wird Klang. Für seine Installation hat Marius Buck das Wissen der Renaissance mit ganz aktuellem zusammengebracht: Gesteuert wird die Installation über den digitalen Code eines Mikrocontrollers.
Für die Motivation, immer mehr wissen zu wollen, die uns als Neugier antreibt, hat Kyungju Kim mit ihrer Video-Arbeit ein überzeugendes Bild gefunden. Man sieht, wie sie sich nach einem Juckreiz am Körper anfängt zu kratzen und immer weiter kratzt: Der Impuls zu Kratzen funktioniert wie der Wissensdrang. Wenn man etwas erfahren hat, will man immer noch mehr wissen. Das soll ein Kreis sein? Julia Gerhards lässt in ihrer Installation unser theoretisches Wissen darüber, wie ein Kreis aussieht auf die konkrete physische Form ihrer Arbeit prallen. Wir sehen einen Stapel mit vielen Blättern, auf die eine durchgehende Linie gezeichnet ist. Archiviert ist in diesem Stapel die Spur einer großen Kreisbewegung, die Julia Gerhards mithilfe eines überdimensionalen Zirkels auf einem im Kreis ausgelegten Blättern vollzogen hat.
Mit dem Wissen, das aus Erinnerungen und Träumen zu uns kommt, befassen sich die Arbeiten von Felicitas Zenke und Hwakyeong Kim. Felicitas Zenkes Gedicht „Der schale Geschmack bleibt“ handelt von dem schmerzhaften Moment, in dem uns ein Wissen, vor dem uns unsere eigene Erinnerung bewahrt hat, erreicht. Dadurch, dass es jemand anderes ausspricht ist es fortan unlöschbar in unserem Bewusstsein eingeschrieben.
Das Kopfkissen in Hwakyeong Kims Installation „Newton‘s apple on my pillow“ verweist auf den Schlaf und den Zwischenbereich zwischen Wachen und Schlafen, in dem man versucht, sich an den Inhalt eines Traums zu erinnern. Man sammelt die Haare – Spuren eines wilden Traums? – und versucht vergeblich, mehr über den Inhalt des Traums zu erfahren.
Ist Wissen das, was im Internet steht? Jihoon Jungs Arbeit „Rudolf Henke Projekt“ besteht aus einem klassischen Wikipedia-Eintrag über den verstorbenen Komponisten Rudolf Henke. Die Biografie, die man über die interaktive Installation lesen kann, ist erfunden, die Musik, die man hört, stammt von einem anderen Komponisten. Der Fake-Eintrag legt offen, wie gefährlich groß unser Vertrauen in aktuelle Wissensspeicher und -plattformen ist.
Auch Miriam Dockendorfs großformatiges Bild „What‘s it all about“ reflektiert unseren Umgang mit Informationen. Die Künstlerin ist in der Zeit der Pandemie zum „Informationsjunkie“ geworden. Ihr Bild ist aus dieser Lebenspraxis heraus entstanden. Aus der Flut an übermitteltem Wissen hat sie für sie interessante Partikel/Bilder ausgewählt und sie assoziativ mit anderen verbunden oder auch überschrieben.
Mit dem Peter und Luise Hager-Preis werden studentische Arbeiten und Positionen ausgezeichnet, die künstlerisch und gestalterisch hochwertig die sinnliche Erfahrbarkeit und Vermittlung von technischen, sozialen und kulturellen Prozessen thematisieren.
Die 2010 gegründete gemeinnützige Stiftung unterstützt Projekte zur Förderung von Erziehung und Bildung, Kunst und Kultur, Umweltschutz, Wissenschaft und Forschung und Sozialem. Die Peter und Luise Hager-Stiftung konzentriert sich dabei auf die Förderung nachhaltiger Projekte vor allem in Ländern und Regionen, in denen die Hager Group mit ihrem Angebot präsent ist.
Wissen – Peter und Luise Hager-Preis 2021
29.7.2021 – 28.8.2021