Kunstgeschichte schreibt sich oft wie ein Krimi – von den Medicis in der Renaissance bis zur spektakulären Dresdner Entdeckung der Übermalung des Vermeers im Mai letzten Jahres. Im besonderen Fokus steht hierzulande zunehmend die Kunst, die in irgendeinem Zusammenhang mit der verfolgten „entarteten“ Kunst während des NS-Regimes steht, allen voran Emil Nolde, den Angela Merkel im Kanzleramt kurzerhand abhängen musste. Ein gutes Beispiel dafür, wie frühere Geschehnisse ins Heute wirken … Ein Ausflug zu den Auktionen und Kunstkriminalgeschichten, ja zur Detektivarbeit zwischen gestern und heute – und wer mag zum Bomann-Museum im schönen Celle.
Für die Forschung in Museen – oder auch initiiert durch private Sammlungen – sind frühere Auktionskataloge und Dokumente von Kunsthändlern eine der wichtigsten Quellen, um die Netzwerke und Verhandlungen auf dem damaligen Kunstmarkt aufzudecken.
Hierbei geht es nicht immer um verbotene Kunst in den vormaligen (diktatorischen) Staatssystemen, sondern auch um die damals „gewünschte“!
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 mussten mithin viele jüdische Kunsthändler aus Deutschland fliehen, darunter Alfred Flechtheim und Walter Feilchenfeldt. Es gab jedoch auch Sondergenehmigungen der Reichskulturkammer. Beispielsweise dürfte der renommierte Kunsthändler und Auktionator jüdischer Abstammung Paul Graupe dadurch noch bis 1937 seinen Beruf ausüben. Joseph Goebbels sah in ihm einen Devisen bringenden Händler mit internationalen Kontakten. Graupe war dann an der Auflösung zahlreicher Sammlungen beteiligt, zu denen die von Nationalsozialisten verfolgten Juden mit Einkommenssteuernachforderungen und der Reichsfluchtsteuer genötigt wurden. Bis zu seiner Flucht in die Schweiz veranstaltete Graupe über 150 Auktionen: Rubens, Rembrandt oder Tiepolo, Corot, Menzel und Liebermann … Das Geschäft in Berlin wurde zugunsten von Hans Wolfgang Lange ‚arisiert‘ und weitergeführt. Hans W. Lange (1904-1945) war seit Ende 1925 für Paul Graupe tätig gewesen. Er übernahm Graupes Auktionshaus 1937 für wenig Geld.
Hans W. Lange veröffentlichte bis 1945 fünfunddreißig Auktionskataloge mit Gemälden und anderen, meist hochwertigen Kunstobjekten, aber auch Waffen- und Ostasiatikasammlungen. Zu den eingelieferten Objekten zählten zahlreiche Übergaben durch das Finanzamt Moabit-West aus ehemals jüdischem Besitz. Mehr als ein Viertel des Umsatzes des Auktionshauses stammte folglich aus Zwangsverkäufen.
Öffentliche Sammlungen, also Museen, waren gern gesehene Kunden, wenn es um die Abnahme von zwangsenteigneten Objekten ging.
Aus den Büchern geht hervor, dass an eben diese Häuser oft stark unter dem taxierten Wert verkauft wurde, was den Handel quasi für beide Seiten offenbar legitimierte.
Zum Kunsthandel während des NS-Regimes sei übrigens der Sammelband “Werke und Werte: Über das Handeln und Sammeln von Kunst im Nationalsozialismus” der Hamburger Provenienzforscherinnen Ute Haug und Maike Steinkamp empfohlen. Dank ihres kriminalistisch-wissenschaftlichen Gespürs sind in Caroline Flicks Publikation „Geschick im System“ einige Episoden des Lange’schen Kunsthandels nachvollziehbar.
Nicht immer – wie in diesem Fall – können Provenienzforscher heute zurückverfolgen, aus wessen Besitz das jeweilige Objekt zu dem Veräußerer gelangte. Hervorragende Arbeit hat im niedersächsischen Celle dazu Christopher M. Galler geleistet; unterstützt hat diese Provenienzforschung das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste (Magdeburg). Das Ergebnis wird derzeit im Bomann-Museum gezeigt: „Suche nach Herkunft“ – meine unbedingte Empfehlung, schon der Ausstellungsszenografie wegen, denn die Besucher*innen dürfen hier direkt selbst detektivisch arbeiten.
Die Ausstellung bis 13. September 2020 vermittelt einen Überblick über wichtige Ergebnisse aus drei Jahren Forschungsarbeit. Sie beleuchtet sowohl die Zugänge aus lokalem jüdischem Besitz nach 1933 als auch Erwerbungen aus dem Kunsthandel, insbesondere bei Hans W. Lange in Berlin. Darunter konnten bisher mehrere Objekte identifiziert werden, die infolge des systematischen NS-Kunstraubs in Europa enteignet wurden, unter anderem in den Niederlanden und Frankreich. Zwei 1943 erworbene Gemälde gehörten zuvor zur Sammlung des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann.
Diese und weitere Fälle sowie die spannenden Recherchewege können in der Ausstellung nachvollzogen werden. Anke Schlicht schrieb für “Celle Heute”: „Das Vermögen emigrierter und deportierter Juden verfällt dem Reich“, hieß es in der Verordnung vom 25. November 1941 zum Reichsbürgergesetz. Eine Schlüsselrolle bei Kunstgegenständen kam deren Händlern und Auktionatoren zu. Mit welcher Haltung diese ihre Profession betrieben, macht der Leiter des Fachbereichs Provenienzforschung am Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste Dr. Uwe Hartmann, während der Ausstellungseröffnung am 4.7.2019 anhand eines Zitates deutlich: „Den Juden ist das in ihrem Besitz befindliche Kunst- und Kulturgut, an dem ihre Rasse schaffend nie beteiligt war, zu entziehen und in arische Hände zu bringen. Die Überleitung in arischen Besitz erfolgt über den Kunsthandel“, habe das Mitglied der zentralen „Arisierungsbehörde“ im besetzten Österreich, Hermann von Trenkwald, im Jahr 1939 geschrieben.
Für das Celler Bomann-Museum nahm diese Position das Auktionshaus Hans W. Lange ein. Von 1940 bis 1944 war es die Bezugsquelle für rund 100 Kunstobjekte. Diese zählen zu den rund 3.000 Objekten, deren Herkunft der Historiker Galler seit März 2016 erforscht.
Insgesamt verzeichnete das Celler Museum zwischen 1933 und 1945 6.000 Neuzugänge. Hierbei handelte es sich bei einem erheblichen Teil um lokale Gegenstände aus jüdischem Besitz. Nicht nur am Fall Iwan Dawosky und dessen Frau Lydia, die sich, als Erbin seines Vermögens vorgesehen, in einem Konzentrationslager befand, als sich das Museum im Jahr 1943 des Besitzes bemächtigte, möchte Christopher Galler gesellschaftshistorisch aufklären – und nicht nur die Exponate präsentieren, sondern auch die dazugehörigen Menschen, das Verfolgungsschicksal, die Bedeutung, die die Gegenstände in ihrem Leben einnahmen, mit welcher Hingabe sie sammelten und bewahrten. „Dies ist keine Forschung für den Elfenbeinturm“, macht Galler in seinem Vortrag klar. Es geht um Biografien von Objekten, und diese zu erstellen, ist überaus schwierig.
Weitere Vorträge und Veranstaltungen sind auf der Internetseite des Bomann-Museums Celle, Schloßplatz 7, im wunderschönen Celle zu finden.
Kleine weiterführende Hinweise:
The Who is Who: Alle deutschen Auktionshäuser von 1901-1945 und ein Kurzabriss ihrer Tätigkeiten findet sich auf arthistoricum.
Einen Leitfaden zur Standardisierung von Provenienzangaben wurde übrigens 2018 vom Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. herausgegeben: PDF Leitfaden.
Autorin Jana Noritsch ist im Arbeitskreis Werkverzeichnis sowie im Bundesverband Künstlernachlässe Mitglied. Künstler*innen, die sich zu einem eigenen Werkverzeichnis inspirieren lassen möchten, um die Entstehung und den Verbleib ihrer Arbeiten zu dokumentieren, können sich bei diesen Stellen informieren, hier Fragen stellen oder sich die bereits veröffentlichten Werkverzeichnisse auf arthistoricum ansehen. Dies gilt auch für Sammler*innen, die bspw. eine Lücke in einem künstlerischen Œuvre schließen wollen oder die Geschichte(n) von Objekten nachverfolgen wollen.
Beitragsbild: Hans W. Lange als Auktionator, Mitte 1939. Mit freundlicher Genehmigung des Bomann-Museums