Welche Muster, Normen und Regeln beeinflussen unser Denken und Handeln? Die Frage nach Sinn und Gehalt von Traditionen, der die Künstler der Galerie im Rahmen der aktuellen Ausstellung nachgehen, erhält in Zeiten eines anschwellenden Kulturalismus neue Relevanz.
Die Ansätze, mit denen das thematische Terrain erkundet wird, sind spannungsreich und differenziert. Individuelle Erfahrungen und biografische Details spielen ebenso eine Rolle, wie streng formale und kritische Betrachtungsweisen.
Mit einem Objekt, das sowohl als unendliche Leiter oder Hamsterrad gelesen werden kann, zeigt Dennis Feddersen die Zwiespältigkeit, mit der die einzelnen Künstler sich dem Begriff annähern. Die geschlossene Kreisbewegung interpretiert Tradition einerseits als Wiederholung, während die Stufen auf Entwicklungspotenziale verweisen, die im Ausbruch aus eingeschliffenen Konventionen liegen.
Auf ganz unterschiedliche Weise wird das Spannungsverhältnis zwischen der Gebrochenheit moderner Biografien und der Prägung durch das familiäre oder kulturelle Umfeld untersucht. Die in Kabul und in Delhi aufgewachsene Jeanno Gaussi greift mit ihrem metallbeschlagenen Skateboard die traditionelle kunsthandwerkliche Herstellungsweise reich verzierter Mitgifttruhen auf, und verbindet diese mit der Idee der Freiheit und des bewussten Verlassens vorgezeichneter Lebenswege.
Ausgangsmaterial von Ingo Mittelstaedts speziell für die Ausstellung entwickelter Arbeit bildet das Bildarchiv seines Vaters: Rainer Mittelstaedt war in den 1970er und 80er Jahren einer der erfolgreichsten Pressefotografen der ehemaligen DDR. In den Wendejahren wechselte er zum Springer Verlag und etablierte sich dort als Fotograf. Ingo Mittelstaedts fotografische Arbeit ist geprägt von der seines Vaters, und dennoch könnte sein Werk nicht unterschiedlicher sein. Die Installation ist Hommage und Disput zugleich und reflektiert das Verhältnis zwischen Vater und Sohn sowohl auf persönliche als auch fotografische Weise.
Wie Traditionen unsere Weltwahrnehmung auch losgelöst vom unmittelbaren biografischen Bezugsrahmen beeinflusst, thematisiert die Lackarbeit von Katinka Pilscheur. Die signalrote Fläche, ein proportional vergrößertes DIN-Format, steht einerseits in der Tradition der Farbfeldmalerei der Minimal Art und verweist gleichzeitig auf die industrielle Standardisierung von Farben und Formen.
Der israelische Künstler Yinon Avior schließlich stellt die Erhabenheit von Traditionen radikal in Frage, indem er ihre Konstruiertheit als Instrumente hegemonialer Machtsicherung entlarvt. Seine Arbeit besteht aus den vier in hebräischen Schriftzeichen ausgeführten Worten Rak Emet Ein Emuna (“Only Truth No Belief“) xenical cost. Was auf den ersten Blick wie ein biblisches Zitat anmutet, ist in Wahrheit die Reproduktion der Tätowierung eines britischen Pornodarstellers.
Traditions bildet die Mehrdimensionalität persönlicher und gesellschaftlicher Traditionen ab, die als hemmende Introjekte ebenso wie als Geborgenheit spendende Bindungsangebote begriffen werden können. Gemeinsam ist den hier gezeigten Arbeiten, dass Traditionen nicht als starr und unveränderbar, sondern hybride und durchlässig interpretiert werden.
Traditions
26. Januar bis 15. April 2017
Galerie koal
Leipziger Strasse 47 / Jerusalemer Strasse
10117 Berlin