Für Maria Calandra sind Landschaften nicht nur Ausschnitte aus der Welt. Also nicht nur das, was man als organisierte Darstellung eines natürlichen Ortes – real oder nicht – bezeichnen könnte, die nach den von der Kunstgeschichte vorgegebenen Techniken wie Perspektive, Farbschemata, Tonwertkontraste und Linien erfolgt. Natürlich sind ihre farbenfrohen Leinwände tatsächlich Landschaften, aber sie zeigen nicht einfach Bäume, Seen, Berge oder Horizonte. Sie sind Darstellungen von etwas ganz anderem, das mehr empfunden als wirklich sichtbar ist. Calandras Landschaften sind nicht nur ein Ausschnitt dessen, was sie sieht – sie sind auch der Ausschnitt dessen, was sie fühlt.
In ihrer zweiten Ausstellung mit GNYP Galerie Berlin zeigt Maria Calandra eine deutliche Entwicklung gegenüber ihrer letzten Ausstellung. Während sie damals, 2023, so eine eher geradlinige Darstellung von Landschaften präsentierte – die Horizontlinie zum Beispiel war ein identifizierbares und strukturelles Element, und jetzt ist sie praktisch verschwunden, integriert in den malerischen Wirbel – scheint sie diesen Bereich derzeit zu überschreiten. Dennoch gibt sie den Bezug zum Genre nicht völlig auf. Der Bezug zu Landschaftsdarstellungen in der gesamten Kunstgeschichte ist immer noch vorhanden und zeigt, dass Innovationen aus der ständigen Auseinandersetzung mit der Tradition entstehen und nicht, wie die Modernisten zu glauben pflegten, durch die bloße Zerstörung der Vergangenheit. In dieser Hinsicht wäre es ein wenig heuchlerisch, so zu tun, als wäre die delikate Angelegenheit einer Landschaft ein unbeschriebenes Blatt. Indem sie dies nicht tut, ist Calandras Verhältnis zur Geschichte des Genres sowohl eine ethische als auch eine ästhetische Haltung. Wenn man heute Landschaften malt, bedeutet das, dass man unsere Welt und unsere Geschichte wertschätzt.
Aber was ist an diesen Landschaften anders? Erstens sind sie nicht nur malerische Darstellungen von Sinneswahrnehmungen wie Flüssen, Bergen, Bäumen, Himmel, Regenbögen und dem Horizont (die alle auf der einen oder anderen Leinwand in dieser Ausstellung zu sehen sind). Vielmehr sind sie Darstellungen einer anderen Zeit (daher übrigens auch der Titel der Ausstellung). Die zarte und stürmische Verschmelzung von Farben und Formen deutet auf die grundlegende Instabilität hin, die alles da draußen durchdringt. Alles biegt sich ständig in und aus sich selbst heraus. Vielleicht sind wir nur Zeuge des Wechsels der Jahreszeiten – was schon eine gewaltige Leistung wäre, etwas, das zuerst von Malern im Goldenen Zeitalter der Niederlande versucht wurde, als turbulente Wellen und Wolken eine solche Vorstellung zum Ausdruck brachten -, aber in der Kunst zählt gewöhnlich der Akzent, den man den Dingen verleiht. Maria Calandra setzt einen deutlichen Akzent auf die Dynamik, die alle Dinge miteinander verbindet. Es war nie nur eine Landschaft.