LAS präsentiert die Ausstellung Ent-, die zusammen mit der Künstlerin und promovierten Quantenphysikerin Libby Heaney entstanden und vom 10. Februar bis zum 1. Mai in der Schering Stiftung in Berlin zu sehen ist. Quantencomputer werden unsere Welt verändern. LAS zeigt jetzt das erste Kunstwerk, das nicht nur diese neue Technologie thematisch aufgreift, sondern mit einem Quantencomputer geschaffen wurde. Die Ausstellung markiert den Sprung in das Quantenzeitalter – zumindest in der Kunst.
Bereits seit mehreren Jahren untersucht Heaney im Auftrag von LAS die Komplexitäten und möglichen Implikationen von „Quantencomputing“. Sie ist weltweit führend darin, diese Technologie als künstlerisches Medium einzusetzen. In Ent- geht Heaney noch einen Schritt weiter: Quantencomputing wird in der interaktiven 360°-Installation zum Medium und Gegenstand zugleich. Die Arbeit erkundet die tiefgreifenden Veränderungen unseres zukünftigen Alltags in dem Moment, in dem Quantencomputer voll funktionsfähig und damit aktuellen Computern in Leistung und Geschwindigkeit weit überlegen sein werden.
Besucher:innen der Installation betreten zunächst eine „Black Box“, in der sie einer 360°- Projektion von Ent- begegnen. Heaneys Kunstwerk ist eine Interpretation der zentralen Tafel des berühmten Triptychons Garten der Lüste von Hieronymus Bosch (c. 1490–1510). In der Videospiel-Engine Unreal erschafft Heaney eine Parallelwelt, die auf den verschiedenen Ebenen des Gemäldes basiert. Statt von Boschs Figuren wird diese von Heaneys hybriden Quantenkreaturen bevölkert. Heaney animiert und modifiziert dafür ihre eigenen Aquarellmalereien mittels quantenbasierten Programmierens. So collagiert sie fantastische Wesen, gestaltet Landschaften, die zu atmen scheinen und schafft Strukturen die zerbersten, um sich im Anschluss neu zu formieren. In der Art und Weise, wie Aquarellfarben auf dem Papier verschwimmen und sich so festen Strukturen widersetzen, spiegelt sich für Heaney das Verhalten kleinster Teilchen in der Quantenphysik wider.
Heaney sieht in Boschs nebeneinander liegenden Darstellungen von Himmel und Hölle eine Analogie zu dem ambivalenten Potenzial des bevorstehenden Quantenzeitalters. Zum einen wird die erhöhte Rechenleistung von Quantencomputern in vielen Bereichen zu bisher undenkbarem Fortschritt führen. Die bedeutet jedoch zum anderen, dass beispielsweise Verschlüsselungsmethoden zum Schutz von Daten und Privatsphäre ausgehebelt und der Ausbau bereits bestehender digitaler Überwachungsmechanismen exponentiell beschleunigt werden könnte. So widmet sich Ent- auch den Gefahren, die unserem Wunsch nach neuen Technologien innewohnen und lässt dabei ebenso wie der Garten der Lüste verschiedene Lesarten zu, in denen dieses Begehren gleichzeitig zelebriert und vor ihm gewarnt wird. Heaney platziert Ent- in einen dezidiert religiösen Kontext und stellt so die Frage in den Raum, inwiefern Technologie die Rolle von Religion im modernen Zeitalter einnimmt.
Heaney untersucht zudem, wie die Eigenschaften von Quantensystemen abseits von Prozessoptimierung zu Denkmodellen einer besseren Zukunft werden können. Die Quantenphysik beschreibt Naturgesetze im atomaren und subatomaren Bereich und somit Phänomene, die nicht mit den menschlichen Sinnesorganen überprüft werden können. Eines ihrer Kernprinzipien ist die Superposition (Überlagerungsprinzip). Es beschreibt, dass ein Quantenpartikel in Superposition mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen kann. Wenn zwei Quanten in Superposition in einem System miteinander verbunden sind, greift ein weiteres Prinzip: die Quantenverschränkung. Sind Quanten miteinander verschränkt, ergibt sich durch die Messung des einen automatisch der Zustand des anderen. Heaney sieht in diesen Phänomenen die Möglichkeit, binäre Auffassungen und politische Polarisierung zu überwinden und damit pluralistisches und kollektives Denken zu stärken. Auf diese Weise könnte globalen Problemen wie der Klimakrise begegnet und Raum für neue Paradigmen geschaffen werden.
In ihrer visuellen Sprache kreiert Heaney vielschichtige Effekte, die nur durch ihre Arbeit mit Quantencomputern möglich werden: digitale Bilder werden hybrid und fragmentiert in einer verschwommenen, verfremdeten Ästhetik, die die Gesetze der Quantenwelt darzustellen versucht. Wenngleich Heaneys Konzeption komplex und tiefgründig ist, benötigen Besucher:innen der Ausstellung keine Vorkenntnis der Quantenphysik. Im Gegenteil möchte Heaney dazu anregen, eigene emotionale Antworten auf die beunruhigenden und zugleich aufregenden Verheißungen des Quantenzeitalters zu finden.
Weltweit entwickeln nur wenige Unternehmen Quantencomputer. Mit Unterstützung von LAS arbeitet Heaney seit drei Jahren mit der Quantenhardware von IBM und der Software von Qiskit. Eine ausstellungsbegleitende Broschüre dokumentiert die Zusammenarbeit Heaneys mit LAS und den Entstehungsprozess von Ent-.
Über Libby Heaney
Libby Heaney ist eine britische Künstlerin, Dozentin und promovierte Quantenphysikerin. Ihre Arbeiten waren bereits in diversen britischen und internationalen Galerien und Institutionen ausgestellt, darunter Einzelausstellungen u.a. Holden Gallery, Manchester (2021); Goethe Institut, London (2019); Emmanuel Church, Loughborough (2021) als Teil von Radar, dem Programm für zeitgenössische Kunst der Universität Loughborough; Non-Space Gallery, Aarhus (2017) im Rahmen des Kulturhauptstadt Programms der EU.
Libby Heaney beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Praxis interdisziplinär mit den Heilsversprechen und zugrundeliegenden Machtansprüchen neuer Technologien. Ihre Arbeit übersteigt dabei deren gängige Nutzung und fordert sie heraus, gegen sich selbst zu arbeiten, um ihre Nachteile und Gefahren zu offenbaren. Mit viel Humor erkunden ihre Werke so Wahrheit und Wahrnehmung sowie unsere ambivalente Beziehung zu neuen verführerischen Technologien.
Beitragsbild: © Libby Heaney, still from Ent-, 2021
Libby Heaney – Ent-
In der immersiven 360-Grad-Installation wird Quantencomputing zum Medium und Gegenstand zugleich.
10. Februar 2022 – 1. Mai 2022